Schlagwörter
Asperger, Asperger Autismus, Asperger Syndrom, ASS, Auticon, Autismus, Autismus-Spektrum-Störung, HFA, Hochfunktionaler Autist, Praktikum
In der letzten Praktikums-Woche ist nicht viel besonderes gelaufen, außer vielleicht, dass wir früher als erwartet fertig waren. Da es definitiv die letzte Woche ist und ich ab dem 1.5. einen Vertrag bei Auticon erhalte, möchte ich diesen Bericht als Resümee meiner Zeit als Bewerberin bei Auticon nutzen, zum Abschluss meiner Reihe.
Aber mein Bericht heute soll sich auch an die anderen Branchen da draußen richten, die sich vermutlich aus Unwissenheit nicht so recht trauen, Autisten einzustellen oder zu beauftragen.
Auch darüber habe ich mir das letzte Jahr viele Gedanken gemacht.
Nach einem Rat eines Jobcoaches bei einer Maßnahme des Arbeitsamtes Anfang des Jahres, erhielt ich den Ratschlag, es einfach bei Auticon zu versuchen.
Ich war mir unsicher. Ich bin zwar technikbegeistert und ein klein wenig hatte ich mich auch schon mit programmieren beschäftigt, aber als Programmiererin sah ich mich (noch) nicht.
Gut, andere bezeichnen mich als „kleiner Nerd“, aber ich bin nie davon ausgegangen, dass es dafür tatsächlich ein Berufsfeld für meine Fähigkeiten gibt.
Ehrlich gesagt war mir nicht bewusst, dass Auticon auch nach solchen Dingen sucht. Das auch Tester eingesetzt werden und man selbst als absoluter Quereinsteiger, wie ich es bin, eine Chance hat. Irgendwie bin ich immer davon ausgegangen, dass nur IT ler mit Programmierkenntnissen gefragt sind.
Diese Unsicherheit hatte mich lange Zeit abgehalten, mich bei Auticon zu bewerben und nach vielen Gesprächen mit anderen Autisten, stehe ich da nicht ganz alleine damit da.
Also entschloss ich mich, meine Zeit als Bewerberin zu verbloggen und so ward ihr ab August mit dabei, um zu sehen, wie es bei mir bei Auticon weiter gehen sollte, nachdem ich es tatsächlich einfach versucht hatte, mich dort zu bewerben.
Mittlerweile ist fast ein Jahr vergangen und es gab Zeiten, da hatte ich nicht mehr daran geglaubt, dass es für mich tatsächlich wahr werden könnte.
Die Tatsache, dass erst ein Projekt gefunden werden muss um eingestellt zu werden, hatte mir Sorge bereitet. Ich als Quereinsteiger ohne jeden Beweis dafür, dass ich durchaus Fähigkeiten habe.
Öfter werde ich in letzter Zeit zu Auticon angesprochen. Eine der Sorgen war bezüglich der Testung und in diesem Zuge plagten sie Versagensängste.
Ich bin mir nicht ganz so sicher, wieviel sie wirklich allein an Erkenntnissen aus den Tests ziehen, glaube aber, dass sie daraus mehr lesen können, als es mir bewusst war und das es gar nicht so sehr darum geht, alles zu schaffen. Vielmehr sind sie eine Hilfestellung.
Im Grunde geht es um Fähigkeiten und ein gewisses Gesamtbild, denke ich und so ist es gar nicht so wichtig, alle Tests hundertprozentig zu bestehen.
Tatsächlich bin ich überrascht, wie gut mich Auticon nach den ersten Tests einschätzen konnte.
So waren es genau dieselben Worte, die unsere Ansprechpartnerin beim Projekt nutzte, um meine Arbeit bei ihnen zu bewerten.
Letztens sprach mich jemand per Privatnachricht an, der in derselben Situation steckte, wie ich vor einem halben Jahr, als ich nach der Erprobungswoche darauf wartete ob und wie es nun weiter gehen sollte. Die Warnung, dass eine Vermittlung durchaus mal bis zu 6 Monate dauern kann, diese Angst davor, ein anderes Arbeitsangebot annehmen zu müssen, bevor es in der langen Zeit wirklich zu einer Einstellung kommt, war auch bei mir vorhanden. Immerhin bin ich ja auch in der Pflicht als Arbeitslose weiter aktiv zu suchen.
Nur sah ich kaum eine wirkliche Alternative für mich auf den Arbeitsmarkt.
Zum einem habe ich beim Arbeitsamt mit offenen Karten gespielt und von Anfang an klar signalisiert, dass ich Auticon klar priorisiere und alles andere eher als Lückenfüller ansehen würde. Aber soweit kam es bei mir nie.
Ich hatte vielleicht das Glück im Unglück einen schweren Bandscheibenvorfall in der Zeit hingelegt zu haben und so war ich noch krank geschrieben als es plötzlich sehr schnell ging.
Nach einem Gespräch mit Auticon sollte ich im Februar mein Praktikum bei Auticon antreten und nach gerade mal 2 Wochen wurde ich meinem ersten Projekt zugeteilt.
Bis jetzt habe ich mein Zertifikat zum ISTQB-Tester nicht machen können und neben dem Projekt hatte ich auch keine Zeit mich weiter darauf vorzubereiten.
Die Sorge, dass sie mich ohne dieses Zertifikat nicht einstellen würden und auch nicht vermitteln könnten, hatte sich als unbegründet herausgestellt.
Das soll jetzt aber kein Freifahrtschein darstellen. Ich hatte nur mitbekommen, dass auch andere Probleme damit hatten, rechtzeitig mit dem Lernstoff fertig zu werden.
Es ist sehr gut, wenn ihr im Vorfeld euch Wissen zur ISTQB aneignet und je mehr umso besser. Aber vielleicht nimmt es dem ein oder anderen den Druck oder auch die Angst davor, dass davon alles bei Auticon abhängt.
Ingesamt war es für mich ein sehr aufschlussreiches, anstrengendes und spannendes Jahr und ich freue mich riesig, im Mai meine Arbeitsstelle bei Auticon anzutreten.
Es ist vom Gebiet her das, was ich immer schon gut konnte und wo ich glänzen kann und das auf dem ersten Arbeitsmarkt.
Das gibt Selbstvertrauen und das Gefühl endlich auch was leisten zu können. Leisten konnte ich zwar schon immer, aber ich scheiterte oft an den einfachsten Dingen, wie Zwischenmenschliches, unklaren Ansagen oder Ablaufunsicherheiten.
Auticon ist ein Betrieb, die Autisten „wegen“ ihrem Autismus einstellt und nicht „trotz“ und das ist für mich ein wichtiger Unterschied.
Dadurch macht es aber auch klar, dass Auticon mit Nichten ein rein sozial ausgerichteter Betrieb ist. Im Gegenteil. Sie sind genauso wirtschaftlich wie jede andere Firma und genau das ist es, was mich stolz auf mich sein lässt.
Ich werde für mein Können eingestellt und nicht nur, weil Auticon so sozial ist.
Hier wurde erkannt, dass Autisten bereichernd sein können und es entstand daraus gleichermaßen eine Chance für uns und dafür sind nichtmal so viele Umstellungen in einem Betrieb nötig.
Mehr Verständnis würde ich hier an oberster Stelle anführen. Verständnis gegenüber der Besonderheiten als auch der Schwierigkeiten. Aber auch das Wissen darum, dass im richtigen Umfeld manch Schwierigkeit auch zu einer Stärke werden kann.
Genauso, dass es höchst individuell sein kann und somit wichtig ist, jeden Autisten für sich anzuschauen, um die richtigen Hilfestellungen herauszufinden.
Dann aber hat man da einen sehr loyalen und durchaus fähigen Mitarbeiter.
Genau diese Fähigkeiten, die sich Auticon zu Nutze macht, können auch in anderen Branchen eingesetzt werden. So ist eine Mustererkennung nicht unbedingt nur in der IT Branche sinnvoll. So war diese Fähigkeit neben meinem logischen Verständnis und meiner extremen Geradlinigkeit ein langjähriger Begleiter im Finanzwesen, wo ich fachlich durchaus mithalten kann.
Die Fähigkeiten der Autisten sind so vielseitig wie der Autist selbst und so findet man in jedem ganz individuelle Möglichkeiten diese einzusetzen.
Dinge wie sprachliche Stärken, z.B. durch einen umfangreichen Wortschatz. Der Hang zur formalen Sprache und genauen Formulierungen, die schon bei autistischen Kinder auffällt, kann später im erwachsenen Alter durchaus vorteilhaft sein in Bereichen wie Journalismus oder beispielsweise auch als technischer Autor, der Technik verständlich erklärt, Handbücher schreibt oder Wartungsanleitungen.
Ich kenne durchaus Autisten, die sich auf den Bereich Kommunikation spezialisiert haben und zB Kommunikationswissenschaften studiert haben, Referate halten und Seminare geben. Und das richtig gut unter den richtigen Bedingungen.
Bestes Beispiel wäre hier Vera F. Birkenbihl.
Im Journalismus spielt auch die Recherche eine große Rolle. Manche Autisten graben sich extrem tief in Themen ein (Stichwort Spezialinteressen) und sind Meister im finden von Informationen. Zusammen mit hoher Merkfähigkeit und den Hang zu sortieren oder Ordnung herzustellen, die manch Autisten eigen ist, sind Berufe wie Bibliothekar oder allgemein Recherchejobs denkbar, z.B. als Zuarbeiter bei Gericht oder für Anwälte.
Gerade diese Genauigkeit und das immerwährende Sortieren, dass beispielsweise meinem mittleren Sohn eigen ist, kann richtig eingesetzt in der Logistik bereichernd sein. Zumindest in den Teilbereichen wo es um Qualität und nicht so sehr um Quantität geht.
Dadurch, dass es seinem Naturell entspricht, wäre es auch nicht anstrengend für ihn, stundenlang Listen zu vergleichen oder genausten Inhalte zu prüfen. Auch hier spielen, wie im IT Bereich, Fähigkeiten wie hoch fokussiertes Arbeiten und das Wahrnehmen von geringsten Abweichungen eine wichtige Rolle.
Genau dieses „kleinste Veränderungen erkennen“ wiederum lässt sich auch im Beurteilen von Verhalten einsetzen.
Mein ganzes Leben analysiere ich schon menschliches Verhalten und warum sollte es nicht möglich sein, Autisten die eben da ihre Stärke haben auch beispielsweise als psychologische Analysten einzusetzen oder in einem Sozial Media Team.
Ich kenne auch sehr viele Autisten, die im sozialen Bereichen arbeiten, sogar als Therapeuten. Das klingt im ersten Moment paradox, wenn man dem Klischee glauben mag, dass wir zu gar keinen sozialen Kontakten fähig wären.
Tatsächlich wissen wir nur oft nicht, wie wir mit Situationen umgehen sollen und so begeben wir uns lebenslang auf die Suche nach Mustern im Verhalten anderer Menschen, um manches besser zu verstehen oder vorhersagen zu können. So ist es wirklich so, dass Freunde mich zwar selten um Trost baten, aber in mir einen sehr guten Ratgeber sahen.
Detailliebe oder ein ganz besonderer Blickwinkel werden Autisten sehr oft nachgesagt. Unter diesem Aspekt können künstlerische Beiträge sehr wertvoll sein, insofern man entsprechendes Talent mitbringt. Fotographie wäre beispielsweise denkbar.
Ich kennen auch einige autistische Maler deren Bilder sehr aussagekräftig sind und einen mit in eine andere Welt, eine andere Perspektive mitnehmen können.
Autisten sind verschieden und individuell auch in ihren Fähigkeiten.
Ich sehe keinen Grund, warum Autisten nicht auch in anderen Branchen Fuß fassen könnten. Nötig wäre dafür nur ein bisschen Verständnis, die richtigen Rahmenbedingungen und die ein oder andere Hilfestellung, die nichtmal teuer sein muss.
Das Wichtigste dabei wäre aber, dass wir, potenzielle Arbeitgeber, Kunden und Autisten anfangen miteinander zu reden. Nur so wird es möglich sein Ängste abzubauen und durch Aufklärung schaffen wir mehr Verständnis und viel mehr Möglichkeiten.
Für alle Seiten.
Auticon hat es vorgemacht. Jetzt wäre es schön, wenn andere nachziehen würden.
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in dieser Reihe:
Erprobungswoche Auticon: Tag 1
Erprobungswoche Auticon: Tag 2
Erprobungswoche Auticon: Tag 3
Erprobungswoche Auticon: Tag 4