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Ich kann nicht genau sagen woran das bei mir liegt. Meist kommt bei mir die Reaktion zeitversetzt. In der ersten Woche war alles genauso neu wie jetzt in der zweiten, aber erst jetzt merke ich die enorme Anspannung, die dies mit sich bringt.

Vielleicht liegt es daran, dass ich in der ersten Woche zu sehr auf das Funktionieren fokussiert war. Ich hatte kaum Zeit darüber nachzudenken, wie es mir damit geht. Denn meine Gedanken kreisten eher um die nächsten Schritte und Abläufe, wie ich was und wann mache und wie ich alles so hinbekomme, damit es funktioniert. Nach einer Woche haben sich die Zeiten in soweit etabliert, dass ich weiß, das es klappt. Ich weiß jetzt den optimalen Ablauf, um es morgens reibungslos verlaufen zu lassen. Mit Puffer.
Auch wenn es nach wie vor reine Denkleistung von mir erfordert und noch nichts automatisiert ist, ist hier die Anspannung gewichen. Wenn alles normal und geplant verläuft, bekomme ich es hin.
Der grobe Ablauf steht. Aufstehen, alles richten, Kinder wecken, Frühstück, Zähne putzen, anziehen und los. Das ganze natürlich mal 4. Denn bei uns leben 4 Kinder im Haus.

Gleichsam wie die Anspannung ob des morgendlichen Ablaufs wich, wurde die Anspannung an anderer Stelle präsenter. Die Zugfahrt, die doch sehr schlaucht. Es ist sehr laut da drin und oft extrem eng. Berührungen lassen sich manchmal einfach nicht vermeiden und am meisten habe ich die Menschen zu hassen gelernt, die sich noch breiter machen und gefühlt am liebsten auch noch auf mich drauf setzen würden, wenn ich schon so schön Platz mache, indem ich mich immer mehr zusammenkrümme um möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten.
Was ist das nur für eine Eigenart mancher Leute, immer auf Tuchfühlung gehen zu müssen. So in etwa wie ein Extrakuscheln am Morgen im Zug. So kommt es einem zumindest vor. Ich warte auf den Tag, wo die Person, die neben mir einschläft, irgendwann auch den Kopf an meine Schulter lehnt. Aber lassen wir das. Grausiges Bild.

Schlimm wird es nur dann, wenn ich sichtbar wegzucke, wofür ich schon den ein oder anderen bösen Blick geerntet habe.
Aber leider kann ich dagegen nun wirklich nichts tun. Denn es ist ein Reflex von mir, den ich kaum unter Kontrolle habe.
Je nach Stresslevel, nach Person und Berührungsart schmerzen mich Berührungen und natürlich ist das für viele nicht nachvollziehbar.
Selbst wenn ich ein Schild um mich tragen würde, wo  „nicht Anfassen“ draufstünde, würden es die meisten nicht verstehen. Ich wüsste nicht, wie ich dieses Problem lösen soll.
Also sitze ich weiter sehr angespannt in der Bahn und harre der Dinge. Es ist ja nicht immer so voll und nicht immer sitzen solche Menschen neben mir. Die meisten sind tatsächlich selbst darin bedacht, Berührungen zu vermeiden. Das freut mich dann natürlich. Wobei mich ja schon die Nähe an sich unter Stress setzt. Aber ich habe nunmal kein Geld für ein erste Klasse Ticket und somit muss ich lernen damit klar zu kommen.

Bin ich erstmal in der Großstadt angekommen, gilt es den inzwischen gewohnten Weg so schnell als möglich Richtung Praktikum fortzusetzen, wo ich mich dann nach 1,5 Stunden Fahrt dem lernen für die Prüfung widme. Manchmal etwas gestört durch die Kollegen, aber das ist soweit ok. Solange alles sich im Rahmen befindet und strukturiert ist, bekomme ich das ganz gut hin.

Problematisch wird es dann, wenn sich etwas schlagartig ereignet. Oder irgendwas gesagt wird, was bei mir einen Gedankenkreisel auslöst. Normalerweise kann ich solche Dinge ganz gut kompensieren. Zumindest zunächst, außer es passiert öfter und je nach Intensität. Momentan bin ich da etwas empfindlicher.

So war es Anfang der Woche schon so, dass ich sehr schlecht schlief. Gerade mal 2-3 Stunden. Meine Gedanken kreisten sich um die Aussage, dass ich in ein Projekt soll. Ansich eine sehr gute Nachricht und genau das was ich mir erhoffe, denn darum geht es ja.
So kann ich im Praktikum Erfahrungen sammeln und wenn ich richtig einem Projekt zugeteilt werde, steht einer Festeinstellung nichts mehr im Wege.
Allerdings hatte mich der Gedanke aus dem Konzept gebracht, dass ich ja immer noch für die Prüfung lernen muss. Irgendwie hatte ich angenommen, dass ich diese möglichst schnell ablegen sollte, damit ich an Projekten richtig mitarbeiten kann. Da es einfach von Kunden oft verlangt wird, dass man dieses Zertifikat vorweisen kann.
Der Gedanke, voll an einem Projekt mitzuarbeiten schloss ja das Lernen für die Prüfung aus. Dadurch, dass ich 4 Kinder zu Hause habe, ist ein effektives Lernen zu Hause, wenn sie alle da sind, unmöglich. Das kann ich machen, wenn sie alle in der Schule oder im Kindi sind. Aber sicher nicht abends und dann erst dann, wenn sie alle im Bett sind. Das wäre allerdings erst gegen 9 der Fall und da sollte ich mich eigentlich auf den nächsten Tag vorbereiten, damit ich rechtzeitig ins Bett komme.

Denn ordentlich Schlaf ist bei mir enorm wichtig.
An Tagen, wo ich unausgeschlafen starte, sind meine Toleranzen gegenüber Reizen wesentlich geringer als so schon und mich wirft vieles viel schneller aus der Bahn. Hohe Denkleistungen, die ich aber brauche, sind da oftmals nicht mehr möglich und dadurch bin ich weniger leistungsfähig und schneller am Rande der totalen Erschöpfung.

All diese Gedanken schossen mir den Tag über durch den Kopf und als ich dann im Bett war und endlich die Entscheidung traf, mein Problem gegenüber Auticon auszusprechen, verbrachte ich die halbe Nacht damit, alle möglichen Variationen durchzuspielen, wie ich es sagen soll, ohne dass ich missverstanden werden könnte und wie möglicherweise Reaktionen ausfallen könnten.

Im Endeffekt entschied ich mich doch für die schriftliche Form und schrieb eine Email. War ich erleichtert, als meine Besorgnis sehr ernst genommen wurde und mir insofern gleich genommen werden konnte, dass von mir gar nicht erwartet wurde beides gleichzeitig hinzubekommen. Das Projekt geht vor und zuerst sollte ich mich darauf konzentrieren. Die Prüfung kann ich auch später ablegen. Sie hatten eigentlich mehr die Sorge, wie ich darauf reagieren könnte, wenn man mich einfach aus dem Lernmodus rausreißt. Daher die Vorabinformation und die subtile Fragen zu meinem Lernprozess.
An der Stelle wäre vielleicht eine klarere Benennung der Beweggründe besser gewesen. Nur so als Tipp für die Zukunft. Dann stürzt mich sowas auch nicht in ein derartiges Gedankenkarusell und für mich habe ich gelernt, solche Bedenken lieber gleich auszusprechen, insofern ich das gleich kann.

War gerade das eine Problem aufgelöst bahnte sich das nächste an. In der nächsten Nacht schlief ich wieder schlecht. Diesmal habe ich keine wirkliche Ahnung warum. Vielleicht lag es am Vollmond oder eben auch an der Tatsache, dass es eben so viel ist, was sich gerade bei mir ändert und all das gerade die Woche in mir hochkommt.
Die Tatsache, dass meine gewohnten Abläufe dahin sind. Das ich nach Hause komme und keine ruhige Minute für mich habe. Früher ins Bett muss als sonst und sich so auch wieder Gewohnheiten ändern oder die Zeit abends einfach nicht ausreicht, um ordentlich runterzufahren. Alles Dinge, an die ich mich sicher mit der Zeit gewöhnen werde, aber ich brauch für solche Dinge einfach etwas länger als andere.

So schlief ich eben diesmal nur etwa 3-4 Stunden und zusammen mit dem Vortag war das gar nicht gut. So brachte ich viele Abläufe morgens durcheinander und startete schon wie im Nebel in den Tag. Ließ sogar mein Handy im Auto liegen, was mir normalerweise nie passieren würde, denn mein Handy ist das wichtigste Hilfsmittel was ich habe. Ich schaffte es zwar noch rechtzeitig dieses zu holen, bevor der Zug losfuhr, aber der Schockmoment war schon inklusive.

Dann kam die erste Pause und ich zog mir erstmal meine Jacke an, um eine rauchen zu gehen. Merkte dann, dass ich die Zigaretten ja noch gar nicht eingesteckt hatte und die wohl noch im Rucksack sind (aus Angst sie im morgendlichen Wahn zu vergessen, stecke ich sie normal schon da rein, bevor ich die Kinder wecke). Ich also zurück, und bedeute noch den Kollegen während ich im Rucksack krame, dass ich meine Zigaretten vergessen habe.
Und halte inne.
„Ich habe sie so richtig vergessen :O“ … und rufe es laut aus.
Quittiert durch ein „oh…OH“ durch den Kollegen.

Schnell überlege ich meine Möglichkeiten. Normalerweise ist das nicht OK einfach während der Arbeitszeit einkaufen zu gehen. Wenn ich allerdings schnell mache. Ich gehe schnell die Bilder durch. Ja, da war ein Tabakladen an der Ecke. Ich sehe ihn deutlich vor mir. Eigentlich muss das in der Pause zu schaffen sein.
Als ich dann oben Bescheid sage, dass ich kurz einkaufen gehe, werde ich gebeten Zucker mitzubringen. (da gäbe es auch einen Supermarkt).
Ich wurde nervös. Ich kenne den Laden nicht und normal gehe ich nie allein in einen Laden den ich nicht kenne und schon gar nicht, wenn ich so gar kein Bild davon im Kopf habe. Tabakläden sind da das höchste der Gefühle. Aber ich hatte mich nicht getraut entsprechendes zu sagen und so machte ich mich auf den Weg in den Supermarkt.

Schon am Eingang war ich mehr als irritiert. Denn es stand sowohl Eingang als auch Ausgang darauf (es waren zwei Türen). Ich brauchte ein paar Sekunden um zu realisieren, dass Ausgang verkehrt herum geschrieben stand, war mir dennoch unsicher und trat vorsichtig an die Türe. Erleichtert ging ich hinein, nachdem sie aufschwang und befand mich mitten im Laden. Schnell suchte ich den Zucker und beschloss gleich auch noch Milch mitzunehmen und nicht zu vergessen, meine Zigaretten.

Als ich an die Kasse wollte, standen da schon eine Frau und ein Mann. Ich reihte mich hinter ihnen ein, als plötzlich die Frau irgendwas davon murmelte, dass sie was aus welchen Gründen auch immer irgendwas vergessen habe und wir ruhig vorgehen sollten. Und weg war sie. Meine Sachen immer noch auf dem Arm, schaute ich ihr ratlos hinterher als just eine Frau hinter mir begann das Band zu beladen.
Nun hatte ich keine Möglichkeit mehr, meine Sachen irgendwo abzulegen und so stand ich immer noch mit meinen Sachen auf dem Arm direkt vor der Kasse, als die Kassiererin den Mann vor mir abkassierte.
Dann fing sie an routiniert weiter zu kassieren und ich rufe noch: „das ist aber nicht meins“, als sie mich anschaut und mich um Entschuldigung bat. Mir blieb dann nichts anderes übrig, als auf die Frau zu warten, die vorhin einfach weglief und so stand ich immer noch mit meinen Sachen auf dem Arm da, als auch diese abkassiert wurde. Und wieder kassiert sie routiniert die nächste ab, während sich die Frau vor mir noch ausgiebig bei mir entschuldigt.
Diesmal reagiert die Person hinter mir, die ja schon ihre Sachen auf das Band gelegt hatte, sodass ich ja meine nicht mehr hinlegen könnte.
Aber zu spät.
Die Kassiererin entschuldigt sich breit bei mir, dass ich nun auch noch diese Kundin abwarten sollte.
Das war dann der Moment an dem ich völlig überfordert meine Sachen einfach denen aufs Band schmeißen und nur noch rausrennen wollte.

Stattdessen bleib ich wie angewurzelt stehen und zum Schluss nahm mir die Kassiererin die Sachen aus der Hand. Ich bezahlte noch irgendwie. Zum Glück mit Bargeld, denn ich glaube, mit Karte hätte ich nicht mehr hinbekommen und machte mich dann schleunigst auf dem Weg zurück.

Nicht mehr in der Lage zu reagieren oder irgendwas zu sagen kam ich bei Auticon an und zeigte der Sekretärin nur die Tüte. Diese nahm erfreut zur Kenntnis, dass ich doch den Zucker geholt hätte und bot mir sofort an, das Geld dafür zurückzuzahlen. Allerdings lief ich dann einfach nach unten und reagierte nicht auf ihre Aussagen. Unten nahm sie mir erstmal den Zucker ab und bedeutete mir nochmals, dass sie oben eine Kasse hätten.
Ich machte nur eine abwehrende Haltung und verschwand im Kellerraum.
Erst etwas später konnte ich diese Situation auflösen und hoffe, sie hat es nicht negativ aufgefasst.
Aber in dem Moment hätte ich nichts sagen oder erklären können, ohne sie anzuschreien und daher war es besser, erstmal den Rückzug anzutreten. Sie kann ja nun nicht wirklich was dafür.

Anscheinend war es tatsächlich Thema, denn meine JobcoachIN wusste am nächsten Tag von welcher Situation ich redete und meinte, dass es nicht negativ aufgefasst wurde.
So wurden beide Situationen, sowohl meine Sorge mit der Prüfung als auch meine schroffe Reaktion auf die Sekretärin recht einfach aufgelöst, indem wir einfach darüber redeten. Zugegeben etwas, was mir ad hoc in der Situation oftmals schwer fällt.
Aber ich arbeite daran. Vor allem auch daran, wieder Vertrauen zu fassen, mich auch an Menschen wenden zu können, ohne, dass sie alles gleich wieder missverstehen „wollen“.

In diesem Sinne war es diese Woche eine sehr anstrengende, aber auch lehrreiche Woche. Mal wieder etwas über mich gelernt.

Sehr positiv war diese Woche übrigens die Meldung, das Auticon dabei ist, trotz geplanten Umzug, jetzt schon etwas an den Lichtverhältnissen im Keller zu ändern. Dazu wurden wir sogar befragt, wie es für uns am angenehmsten wäre.

Auch sehr gut fand ich die Tatsache, dass auf meine Ängste bezüglich der neuen Wege und neuer Situation am ersten Projekttag eingegangen wird. Am ersten Tag begleitet mich die JobcoachIn, sodass ich da ein wenig Rückhalt habe. Sie hatte sowieso ein Termin dort und so treffen wir uns unterwegs um gemeinsam dahin zu fahren. Sie half mir auch sehr, die richtigen Zugverbindungen zu suchen. Das nimmt mir viel Druck weg. Denn, dass ich ein neues Projekt beginne, ist erstmal egal. Neues Projekt ist neues Projekt. Auch wenn ich natürlich darüber nachdenke, was mich da alles erwarten wird. Was mir aber wirklich Sorgen bereitet, sind die neuen Wege, da mich sowas schnell überfordern kann.

Genauso ist meine Sorge, gleich am ersten Tag eventuell ganz allein da zu stehen, weil ich ja auch ganz neu in dem Bereich bin, unbegründet gewesen. Ich werde dort auf bereits eingearbeitete Kollegen treffen.

So harre ich dem, was nächste Woche ansteht. Vor allem auch in Hinblick darauf, dass meine Tochter Samstag wieder mal mit Fieber aufwachte und sie nun nach 2 Runden Scharlach noch eine Grippe ihr eigen nennt.
So kann es sein, das Montag alles ganz anders kommen wird, als wir es geplant hatten.

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in dieser Reihe:

Zu Gast bei Auticon

Erprobungswoche Auticon: Tag 1

Erprobungswoche Auticon: Tag 2

Erprobungswoche Auticon: Tag 3

Erprobungswoche Auticon: Tag 4

Erprobungswoche Auticon: Tag 5

Ein Gespräch bei Auticon

Praktikum (erste Woche)

Praktikum (dritte Woche)

Praktikum (vierte Woche)

Praktikum (fünfte Woche)

Praktikum (sechste und siebte Woche)

Praktikum (achte Woche)