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Nach meinem letzten Artikel möchte ich mich dem Thema Overload, Melt- und Shutdown widmen. Nach ersten Recherchen bin ich tatsächlich überrascht, dass es im deutschen Sprachraum so wenig Geschriebenes gibt und selbst Autisten sehr wohl diese offensichtlichen Grundbegleiter kennen, aber sie begrifflich nicht genau zuordnen können.
Ich möchte es daher mal versuchen.

Es ist manchmal schwer auszumachen, wo genau die Grenze verläuft. In den einem Moment scheint noch alles OK.
Die äußeren Reize sind wie ein Rinnsal, ein leichtes dahinplätschern, das zwar wahrgenommen, aber nicht als störend empfunden werden. Dann merkt man, wie alles auf einmal lauter, greller, schriller wird. Das Rinnsal entwickelt sich zu einem Bach, schwillt an zu einem reißenden Strom. Ist da ein Rückzug nicht möglich, dann überlaste ich und da beginnt für mich der Overload.
Dann geht es auf einmal sehr schnell und der reißende Strom wird zu einem Wasserfall, das Hintergrundrauschen zu einem tosenden Sturm.
Dann ist das Kinderlachen nicht mehr so toll, der Kühlschrank geht einem auf die Nerven und das Auto hat sich zum Flugzeug gemausert.
Auch das Kuscheln ist auf einmal unangenehm. Die Berührungen, die vorher nur leicht unangenehm waren, nicht mehr zu ertragen.

Dieser Moment, wenn die ganze Flut auf mich einstürzt, ist für mich deutlich zu spüren. Wenn bei mir die Filter fallen. Wenn der Overload beginnt.

Der Overload (overload=Überlastung)

Der Overload ist im Kern eine „sensorische“ Überbelastung und würde ich so auch begrifflich einschränken. Overload selber äußern sich weder „aggressiv“ noch in einer völligen „Abschaltung“. Overload treten für mich an dem Punkt auf, wenn die äußeren Reize mich überfluten und ungefiltert auf mich einströmen und mich dann überlasten.
Das Maximale, was ich an diesem Punkt nach außen äußere, ist eine gewisse Gereiztheit, manchmal auch Abwesenheit und ein starker Wunsch die Reize zu mindern. Am besten geht das bei mir, indem ich einen ruhigen und abgedunkelten Ort aufsuche, in dem auch die Gefahr der Berührung minimiert ist. Den meisten geläufig als sogenannter Rückzug.

Manchmal brauche ich es dann ganz ruhig, manchmal sind in diese Phase durchaus Geräusche erlaubt. Aber es müssen vorhersehbare Geräusche sein. Für mich meine Musik. Ich persönliche höre sehr strukturierte Musik. Mit unruhiger Musik kann ich in solchen Momenten gar nichts anfangen. Meist ist es dann immer derselbe Song, den ich immer und immer wieder laufen lasse. Durch Selbststimmulierung, auch sogenanntes stimming, lässt sich ein Overload ein Stück weit hinauszögern oder auch regulieren. Mir persönlich hilft Schaukeln und oder schnalzen (wenn ich alleine bin) oder etwas unauffälliger ein Wippen meines rechten Beines (eine Art seitwärts schaukeln). Manchmal sitze ich sozusagen auf meinen Händen, beiße von innen auf die Lippen oder reibe meinen Handrücken. Meist versuche ich mich schon vor einem Overload zurückzuziehen. Aber es gibt manchmal Situationen, wo das nicht geht.

Ist in dieser Phase ein Rückzug nicht möglich und helfen auch die anderen Maßnahmen nicht mehr, dann beginne ich langsam damit zu fokussieren. Ich halte mich mit aller Kraft am Funktionieren. Konzentriere mich ganz auf das, was ich gerade mache. Man kann es am ehesten mit einem Tunnelblick vergleichen. Spätestens an dieser Stelle ist dringend ein Rückzug angeraten sonst reißt mich der Wasserfall wie ein Strudel in die Tiefe. Danach gibt es kein Entrinnen mehr, es folgt unweigerlich der Shutdown.

Während des Diagnosegesprächs für meinen Sohn konnte ich das gut bei mir beobachten. Ich konzentrierte meinen Blick immer mehr auf die Ärztin, nahm irgendwann ihre Gestalt nur noch schemenhaft war, konzentrierte mich dann auf ihre Stimme und die Fragen die sie mir stellte. Im Grunde verabschiedete sich bei mir ein Sinn nach dem anderen. Das letzte was ich noch wahrnahm war das hören, wobei ich da den Sinn des Gehörten schon gar nicht mehr begreifen konnte. Meine Gedanken kreisten ständig darum, wie ich möglichst schnell aus dieser Situation komme und dieser Gedanke wurde immer lauter und immer dringlicher.
Der Nachteil am hinauszögern oder auch am Funktionieren halten ist, dass es die Auswirkungen eines Shutdown erheblich verstärken können.

Der Shutdown (shutdown=Abschaltung, der totale Rückzug in sich selbst)

Er ist bei mir oft eine Folge aus einem Overload, wenn der Rückzug nicht möglich ist oder wenn ich mich am funktionieren halten muss, weil z.B. das Gespräch wichtig ist oder weil ich erst noch nach Hause kommen möchte.
Aber nicht immer ist ein Overload ein Auslöser, auch wenn ein Shutdown immer von einem Overload begleitet wird.
Manchmal ist auch Stress der Auslöser und je nach Tagesform kann dies dann dazu führen, das etliche Stufen übersprungen werden. Dann reicht unter Umständen eine Planänderung, ein zusätzlicher Stressfaktor um das ganze wesentlich zu beschleunigen.

Ein Shutdown ist ein völliger Rückzug. Ein „Abschalten“. Ich bezeichne das oft als meinen inneren Raum. Das kann an Ort und Stelle sein. Man rollt sich dann einfach in eine Ecke oder an einen Wegesrand und ist nicht mehr ansprechbar. Im Idealfall flüchte ich mich an einen sicheren Ort. Dort muss es dunkel und still sein. Das kann mein Raum oder das Bett sein. Ich nehme dann äußere Reize nur noch gedämpft und wie durch einen Schleier wahr. Es kommt mir jede Bewegung bleiern vor und unheimlich langsam. Wie in Zeitlupe. Meine Reaktionszeit verlängert sich sehr stark und in dieser Phase neige ich stark zum Mutismus. Wenn ich doch versuche zu reden, dann lalle ich sehr schwer und mehr als einzelne Worte bekomme ich kaum über die Lippen.
Ein Shutdown dauert bei mir in der Regel etwa 30-60 min. Dann tauche ich langsam wieder auf.
Man kann dann aber nicht sagen, ich wäre danach wieder völlig hergestellt. Reden fällt mir dann nach wie vor schwer. Ich bekomme dann meist sehr starke Kopfschmerzen und meine Sinne sind auf das Äußerste gespannt. Dieser Zustand kann sich dann noch 2-3 Stunden hinziehen. Aber ich nehme meine Umgebung wieder wahr und reagiere auch wieder. Am besten funktioniert bei mir in der Phase das schreiben. Ich beginne da meist schon zu analysieren. Die darauf folgenden 2 Tage, ich benenne diese Zeit immer als Nachwehen, bin ich insgesamt sehr empfindlich mit meinen Sinnen und meist sehr stark mit mir selbst beschäftigt.

Der Shutdown ist eine Variante der Reaktion, die bei mir häufiger vorkommt als der Meltdown.

Der Meltdown (meltdown=Kernschmelze, der Wutausbruch)

Der Meltdown ist eigentlich irgendwo zwischen dem Overload und dem Shutdown angesiedelt aber bei mir sehr selten. Wie bei dem Shutdown kann er durch einen Overload aber auch durch Stress ausgelöst werden. Ich erinnere mich tatsächlich nur an wenige Situationen, in denen es bei mir zu derartigen Ausrastern kam. Ich verhalte mich dann wie eine Furie und schreie hysterisch. Das schlimme ist, ich merke es sogar, das ich mich völlig daneben benehme, aber ich habe in dem Moment keinerlei Kontrolle darüber. Ich greife nie jemanden an. Meist verhalte ich mich dann eher Autoaggressiv. Verletze mich selber um mich zu spüren. Es ist ähnlich wie bei einer taktilen Wahrnehmungsstörung, wenn ein starker Gegendruck der leichten Berührung entgegenwirken kann und so den Schmerz mindert. So kann das selbst verletzen manchmal helfen den Schmerz der Reizüberlastung zu mindern oder den Stress zu reduzieren. Es ist dennoch etwas, das für mich nicht erstrebenswert ist und so versuche ich meist den Impuls zu unterdrücken oder zumindest umzulenken. Manchmal weiß ich mir dann nicht anders zu helfen, als das ich Gegenstände wissentlich kaputt schlage. Wenn ich Glück hatte, waren es nicht all zu teure Gegenstände. Ich erinnere mich an einen Fall, an dem ich einen Schuh derart nach hinten pfefferte, das die Glasscheibe der Tür zerbrach (und es war recht dickes Strukturglas).

Ungemütlich wird es dann, wenn man mich an einem Rückzug hindert oder die Situation missversteht und versucht mich festzuhalten. Entgegen der Situation, wo ich mich versuche am Funktionieren zu halten, wo ich ja selber der Auslöser bin, hindert mich nun jemand eine Situation zu beenden, die für mich unerträglich und schmerzhaft ist. Dann kann es passieren, das ich um mich schlage, wegstoße oder aus Versehen Dinge kaputt trete. Im Grunde will ich eigentlich nur weg, und solange man mich daran nicht hindert, werde ich niemals handgreiflich. Erschreckend beim Meltdown ist, wie schnell das manchmal kommen kann und wie schnell er genauso auch wieder vorbei sein kann. Bei mir folgt in der Regel dem Meltdown immer ein Shutdown mit all seinen Begleiterscheinungen.

Insgesamt ist das ein Versuch bei mir die Abstufungen darzustellen. Im Grunde sind die Übergänge fließend und nicht immer in genau der Reihenfolge. Oft überspringe ich auch mal die ein oder andere, in extremen Fällen auch mehrere Stufen.
Ich persönlich versuche meist durch Stereotypien, stimming und anderen Hilfsmitteln, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen. Kann ich es nicht aufhalten, dann rette ich mich irgendwie über den Tag, bis zumindest die Kinder im Bett sind. Lasse alles fallen, was unwichtig ist, und fokussiere auf meine Kinder. Das ist zwar sehr anstrengend, aber machbar.
Ich achte immer darauf, dass nicht all zu viele Termine aufeinanderfolgen. Bei wichtigen Gesprächsterminen handhabe ich es meist so, das jemand hier ist und mir mit den Kindern hilft. Dann kann ich mich um mich kümmern. Ich vermeide Situationen, die mich überlasten könnten und plane immer genügend Ruhephasen ein.
Meine Kinder wissen recht gut mit mir umzugehen und wissen, dass Mama ab und an Ruhe braucht.
Es ging mir hier in dem Bericht vor allem auch um die Begrifflichkeit. Dass eben der Overload eine Überreizung ist, der Meltdown ein Wutausbruch und der Shutdown das Abschalten. Bisher gibt es im deutschen Sprachraum kaum eine genaue Abgrenzung der Begrifflichkeit. Ich weiß nicht, ob mir das hier gelungen ist. Aber, ich hoffe doch.

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