Schlagwörter
Alltag, AS, Asperger, ASS, Autismus, Autismus-Spektrum, Berufsleben, Kommunikation, Meltdown, Overload
Eigentlich fing der Tag ganz normal an. Zumindest, wenn man davon absieht, dass die Woche von Anfang an anstrengend war.
So ist es meistens. Es schaukelt sich sozusagen hoch. Oft ist es ein Sammelsurium von Dingen, selten nur eins allein. Für sich hätten sie sicher nicht die Auswirkung gehabt. Aber das sehen die wenigsten. Sie sehen die Zusammenhänge nicht.
Vielleicht, weil sie es nicht nachvollziehen können. Weil sie solche Tage einfach abschütteln, als „diese Tage“ halt. „Kennst das doch“. „Da kommt halt mal alles zusammen“, und dann geht es einfach weiter.
Ich frage mich immer, wie sie das machen und wie ich ihnen begreiflich machen kann, dass „diese Tage“ bei mir eine ganz andere Bedeutung haben. Ein ganz anderes Gewicht.
Sie strengen mich an und rauben mir die Kraft. Die Spirale schraubt sich immer weiter runter. Immer niedriger wird die Schwelle dessen, was ich ertragen oder meistern kann.
„Diese Tage“ bedeutet für mich, dass etwas anders ist. Es kann auch anstrengend bedeuten, weil es unklar ist. Genauso kann mich eigentlich positives auch derart beschäftigen. Zum Beispiel wenn ich unerwartet ein Geschenk bekomme und ich nicht weiß, welche Reaktion erwartet wird oder ob überhaupt. Es kann auch bedeuten, dass ich plötzlich eine neue Aufgabe bekomme und mir nicht so recht klar ist, wie ich damit umgehen soll. Ob ich das gut genug mache, etc, etc.
Im Grunde kann man das leicht zusammenfassen. „Diese Tage“ bedeuten für mich Unsicherheit.
Es heisst auch, dass der Tag erschöpfend ist, weil ich so sehr mit anderen Dingen beschäftigt bin, dass ich reizoffener bin als sonst schon.
Es raubt mir die Kraft und das reicht bis in den nächsten Tag. Durch die Gedankenkreisel schlafe ich dann sehr oft schlecht und so wache ich meist am nächsten Tag schon mit Kopfschmerzen und wesentlich niedriger Toleranzschwelle auf, als den Tag zuvor.
Es ist eben eine Abwärtsspirale.
Diesmal ausgelöst durch die Aufgabe, Kollegen einzulernen. Das ist zwar anstrengend für mich, weil ich viel reden und mit für mich Fremden agieren muss und weil der beste Plan oft nicht funktionieren kann. Einfach, weil zu viele Variablen zusammen treffen. Es ist anstrengend, aber ich kann das meistern und eigentlich mache ich das auch recht gern (also positiver Stress).
Solange nichts anderes hinzu kommt.
Ja, es wurde mir gesagt, dass ich hauptsächlich dafür zuständig bin, die Kollegen richtig einzulernen und dass der Kunde bescheid wüsste. Ein genauer Zeitraum wurde jedoch nicht benannt, nur eine eventuelle Zeitspanne.
Das Problem war auch vielmehr, dass gesagt wurde, dass ich weniger meiner eigentlichen Tätigkeit nachgehen soll und auch das wäre mit dem Kunden genau abgesprochen.
Wieviel genau ist denn weniger?
Als dann vom Kunden Dienstag morgen die Anweisungen kamen, was zu tun ist und da ich ja die Info hatte, dass es abgesprochen war, ging ich davon aus, dass ich das Pensum neben dem Einlernen zu schaffen hatte. Das löste den Stress und die Gedankenkreisel aus.
Der Hinweis eines Jobcoaches, ich hätte an der Stelle nochmal genauer nachfragen sollen, erschließt sich mir nicht. Ich ging ja davon aus, dass alles genau so abgesprochen war.
Es ging aber noch mehr schief an der Stelle. Es fehlte die genaue Absprache, klare Anweisungen an mich und eben auch die Anwesenheit der Jobcoaches. Zumindest wurde es mir so erklärt, dass es eigentlich geplant war, dass immer einer anwesend sein wird in der Zeit.
So war vermutlich das was passiert ist unvermeidlich.
Zwei Tage Overload und keine Möglichkeit sich zu erholen, da Gedankenkreisel, kamen zu dem Druck dazu, den ich zugegeben durch meinen Perfektionismus selber aufbaute. So brachte mich am Folgetag etwas zu Fall, was ich normalerweise hätte gut kompensieren können.
Noch im Hinterkopf, was ich noch zu erledigen hatte, dazu der Zeitdruck, das alles bis Mittags schaffen zu müssen, weil wir dann nicht mehr weiter arbeiten könnten.
Unser Büro sollte umziehen und so blieb mir nur noch dieses kurze Zeitfenster. Ich geriet unter Leistungsdruck und so wurde ich zusehend genervter.
Als ich dann kurz vor Mittags feststellte, dass meine ganze Arbeit auf einen Schlag durch ein blödes Missverständnis zerstört war.
Als ich merkte, dass alles was ich gemacht hatte keinen Wert mehr hat wenn entsprechende Seite nicht mehr da war, geriet ich in Panik.
Ich rief meinen Anprechpartner. Hoffte, er könne noch irgendwas retten, aber zu diesem Zeitpunkt schien die ganze Arbeit seit Anfang der Woche umsonst. Ich kämpfte mit meiner Fassung und konnte sie doch nicht ganz verbergen.
Meine Kollegin hatte an der Stelle richtig reagiert. Sie brachte alle nach draussen und schottete mich ab. Panik, dazu im Hinterkopf, dass ich so mein Pensum nicht mehr schaffen kann, mich sogar um Tage zurückwarf
…das war zu viel.
Genau in dem Moment kam noch ein Jobcouch rein und irgendwas wollte er noch von mir wissen. Aber ich konnte nicht mehr. Ich rannte raus. Weg. Einfach nur weg.
Mein Kopf dröhnte und ich konnte es nicht mehr zurückhalten. Die nächsten Minuten habe ich nur durch einen Schleier in Erinnerung. Ich weiß, dass ich rausgerannt bin. Raus aus der Firma. Ich weiß auch, dass ich der Kollegin noch irgendwas gesagt hatte, aber nicht mehr was. Ich hatte nur noch einen Gedanken und so rannte ich völlig aufgelöst, kreischend und schluchzend raus und alle haben es gesehen. Irgendwohin wo ich allein sein konnte und niemand sehen würde, wie ich mit meinen Füßen auf irgendwelche Steine einschlug.
Ich mag diesen Zustand nicht. Ich mag mich dabei nicht, aber ich kann nicht wirklich etwas dagegen tun. Es ist ein ungeheuer Druck, der sich bis dahin aufgebaut hat und auf einen Schlag herauskommt.
Danach bin ich meist völlig erschöpft und eigentlich weiß ich es besser. Ich hätte nicht zurückgehen dürfen. Aber immer noch hatte ich im Hinterkopf, dass ich wenigstens noch meine Sachen zusammenpacken sollte, für den Umzug.
Völlig planlos und nicht mehr des Redens fähig stand ich mitten im Raum. Ich weiß, dass man mich noch nie in diesem Zustand erlebt hatte und es komplett konträr zu dem geht, wie ich sonst bin. Ich wollte es erklären, konnte aber nicht und mir tat es so leid, dass die Umstände offensichtlich falsch gedeutet wurden.
Es war alles nur ein großes Missverständnis. Eine Verkettung vieler ganz blöd gelaufener Umstände, die dazu geführt hatten.
Ich war nicht sauer auf den Kollegen. Ich war überfordert mit der gesamten Situation und dieser und meiner Gefühlswelt hilflos ausgeliefert.
Nicht das „er“ meine Seite zerschossen hat, sonder „das“ sie zerschossen war, das war das Problem und es besteht ein himmelweiter Unterschied zwischen Wut und einem Meltdown. Letzteres ist reine Hilflosigkeit.
So stand ich also mitten im Raum und hatte keine Ahnung was ich tun soll. Immer wieder wurde ich gefragt, was denn passiert sei, aber ich blieb stumm und auch hier reagierte die Kollegin richtig, als sie sich Block und Stift schnappte und mir Anweisungen aufschrieb, die ich zu erledigen hatte.
Nur die letzte kam zu spät. „Du musst noch deine Daten vom lokalem System sichern.“
Da ich den Rechner schon heruntergefahren hatte, stellt ich ihn wieder an.
Schwarzer Bildschirm, nichts rührte sich nicht mehr.
Immer wieder versuchte ich ihn zu starten. Wenn ich meine Daten nicht sichern kann, dann kann es passieren, dass sie weg sind. Dann wäre nicht nur die Arbeit der letzten zwei Tage weg, dann wäre alles weg.
Aus, das wars.
„Ich gehe nach Hause“ schrieb ich noch, schnappte meine Sachen und rannte beinahe noch unsere Kundin, auf dem Weg nach Hause, über den Haufen.
Das sind die Konsequenzen, die aus „diese Tage“ entstehen können und immer noch frage ich mich: Wie steckt ihr sowas einfach so weg?
perfeclty me sagte:
❤
2ndplanetleft sagte:
diese Tage sind ein K(r)ampf. Ich habe seit Montag eine Kundenabnahme. Was bedeutet, keine Rückzugsmöglichkeit, ständige Präsenz, auch beim Mittagessen und ständig der sch… smalltalk. Gestern Abend war ich schon wie unter Strom gleichzeitig aber total ausgelaugt. Heute Mittag hab ich mich dann ausgeklinkt und auch für morgen alles meinem Kollegen überlassen (können). Gottseidank weiß mein Chef um mein Problem und stellt sich schützend vor mich.
Wie in der E-Mail sagte:
Ich finde das auch ziemlich Scheiße alles. Ständig bemühe ich mich, allen zu vermitteln, dass ich mich gern normal verhalten will, aber ich schaffe es nicht, mich von dem Gedanken zu lösen: Scheiß drauf!
maedel sagte:
?
Gitta sagte:
Hallo, Sie sind nicht gescheitert. Die Arbeitsbedingungen waren nicht gerade förderlich, wenngleich sich die Kollegin auch alle Mühe gab. Wir sind Aspergerautisten. Wir haben, wenn es blöd läuft Meltdowns. Dann fühlt man sich schlecht, ertappt, so, als hätte man nackt im Raum gestanden. Schliesslich hat einen ja so noch niemand gesehen und das wollte man auch nicht, dass einen so jemand sieht. Aber es passiert. Und wer einen einstellt, muss damit rechnen und damit klarkommen, genau so, wie wir selber damit klarkommen müssen. Es gehört zu uns dazu, genauso, wie die Eigenschaften, die man an uns so schätzt. Trauen Sie Ihrem informierten Umfeld zu, genau dies zu schaffen. Herzliche Grüße, Gitta
maedel sagte:
Nirgends steht das ich gescheitert bin. Und ja, man fühlt sich in seiner Hilflosigkeit so ausgeliefert und dazu ist mir mein Verhalten im Nachhinein immer so peinlich.
Gescheitert könnte ich mich nur in der Hinsicht fühlen, dass ich es nicht rechtzeitig geschafft habe da raus zu kommen. Raus aus der Situaion, in Sicherheit, wo mich keiner sieht. Aber selbst das kann ich mir nicht vorwerfen, denn ich weiß, dass ich in solchen Augenblicken dieser rationalen Gedanken und derer Ausführungen nicht mehr fähig bin.
Es sollte hier ein Erzählen sein. Ein Aufklären darüber, wie es zu solchen Situationen kommen kann und das der Anfang meist nicht erst beim Melt zu suchen ist. Es beginnt schon viel früher und ist im Grunde der letzte Tropfen, der alles überschwappen lässt.
Gitta sagte:
Vielleicht habe ich mich unglücklich ausgedrückt. Ich kann ja nur von mir selbst ausgehen. Meltdowns sind mir nicht fremd und für mich fühlt es sich dann wie Scheitern an, auch wenn ich weiß, dass es natürlich kein Scheitern ist. Eigentlich sollten meine Worte nur ein kleiner Trost sein, aber ich glaube, ich bin, wie so oft, falsch verstanden worden. Sorry.
maedel sagte:
Ich verstehe schon was du meinst. Mir sind sie im Nachhinein immer sehr peinlich. Mit Trost hatte ich an dieser Stelle einfach nicht gerechnet, weil es ein berichten sein sollte. Ich kann mit solchen Dingen manchmal nur schwer umgehen und wollte eigentlich nur deutlich machen, dass es mir hier nicht um Mitleid ging. Auch sorry.
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