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Immer wieder lese ich von Heilung, von Methoden, die helfen sollen, die Autismus bekämpfen. Ich lese davon in Artikeln, diversen Foren, Gruppen oder auch hier in den Kommentaren.
Vor ein paar Tagen erst kommentierte jemand hier im Blog. Ich wollte ja erst direkt antworten aber ich habe mich anders entschieden und werde ihm einen eigenen Blog widmen.
Ehrlich gesagt, habe ich so langsam das Thema satt.
Ich werde den Kommentar auch freigeben und hier verlinken, sobald ich diesen Text fertig habe.

Das dieses Thema teilweise sehr kontrovers diskutiert wird, ist mir durchaus klar und ich habe mich daher meist bei dem Thema zurückgehalten, aber ich denke es ist an der Zeit klar auszudrücken, was ich denke und wie ich das sehe.
An dieser Stelle sei noch gesagt, das dies meine eigene Meinung widerspiegelt und ein Ergebnis ist aus Eigenbeobachtung und Eigenrecherche.

Autismus Heilen

Grundsätzlich sei gesagt, das Autismus nicht heilbar ist. Es lässt sich höchstens an manchen Stellen symptomatisch verbessern. Wobei verbessern das falsche Wort ist.
Autismus ist keine Krankheit. Es ist kein Schnupfen, den man mit der richtigen Ernährung, viel Ruhe und Nasenspray in den Griff bekommt.
Autismus ist eine andere Art der Wahrnehmung und Verarbeitung, eine andere Denkstruktur und vor allem ist Autismus angeboren.
Man erwirbt Autismus nicht, wie eine Krankheit. Man wird nicht Autist, man ist Autist.
Auch wenn sich oftmals Symptome erst später deutlich zeigen, und ich schreibe bewusst „deutlich“, so war es eigentlich von Anfang an da. Nur kann man anfangs alles mögliche hinein interpretieren.

Da ist das ständige schreien nach zu viel Reizen (z.B. nach Spaziergängen, Familienfeten, Besuch, Staubsaugen etc.) eher ein Ausdruck einer Kolik. Auch wenn es ein paar Monate länger geht als normal. Oder es ist gleich einfach ein Schreikind und warum, weiß dann keiner.
Das nicht wirklich kuscheln wollen, eher eigen. Das fehlende soziale Verständnis…nunja, „er ist halt noch so jung“. Irgendwo sind ja alle Kleinkinder Egoisten und das müssen sie halt lernen. Sie haben ja noch den Kleinkindbonus. Da sagt noch keiner was wirklich, oder andere versuchen Erziehungstips zu geben, wie man es verbessern kann.
Die Probleme beim Schlafen, hat wohl so manch Kind. Motorisch ist es nur etwas ungeschickt.
Für sich allein spielt eigentlich jedes Kleinkind und wer ist in dem Alter schon nicht fasziniert, wenn es funkelt oder sich dreht.

Vor allem beim ersten Kind entwickelt sich das Kind vermeintlich völlig nach normalen Maßstäben oder hinkt vielleicht nur ein wenig hinterher. Wo soll man das auch vergleichen.
Oftmals hört man Sprüche, wie „das ist halt ein Spätzünder“ und sollte die Sprachentwicklung nicht etwa beeinträchtigt sein, fällt es am Anfang recht wenig auf. Wobei selbst dann ist es „halt ein Junge, die brauchen da immer länger“.
Gerade ständige Mittelohrentzündungen werden gern als Begründung für so manches gesehen.

Die Ärzte und die Us (U-Untersuchungen) sind da wenig hilfreich, da ich damals weder von Autismus noch von „richtiger“ Kinderentwicklung wusste.
Ich wusste nicht, das sein Spielverhalten anders ist, warum sollte ich es dann auch erwähnen. Ich wurde aber auch nie gefragt.
Beide meiner Jungs sind durch sämtliche Raster in den Us gefallen und selbst bei verschiedenen Einrichtungen, da sie sich eher auf die offensichtlichen Dinge gestürzt hatten, wie z.B. die Sprachbehinderung.
Auf diese Weise fallen viele Kinder zwar rückblickend betrachtet auf, aber woher hätte man es wissen sollen?
Woher hätte man wissen sollen, das all diese und viele andere einzelnen Anzeichen, im Gesamtbild Autismus ergeben „können“.
Solange man nicht von sich aus zu recherchieren anfängt, und Ärzte, Therapeuten, Erzieher, Lehrer und viele andere meist ein völlig falsches Bild von Autismus haben, steht man oft alleine da. Ist es da verwunderlich, wenn man dann den vielen Begründungen Glauben schenkt?
Selbst ich als Erwachsene habe heute noch Momente, in denen mich die Erkenntnis wie ein Schlag ins Gesicht trifft:
„ach, das gehört auch zum Autismus?“

Bei frühkindlichen kann man es oftmals früher genauer benennen. Bei Aspergern meist erst zur Schulzeit.
Mein Großer ist Kanner Autist und bei ihm wurden erste Entwicklungsverzögerungen mit 8 Monaten bis 1 ½ Jahren so sichtbar, das man sie als solchen auch erkennen konnte.
Warum da, weil es der Zeitpunkt in der Entwicklung ist, wo die meisten greifbaren Sprünge gemacht werden.
Daher war es so gesehen auch nicht all zu verwunderlich, das so manch Eltern einen Zusammenhang zwischen dem ersten Auftreten von Anzeichen und den Impfungen sahen.
Das Kind beginnt zu sitzen, sich hochzuhangeln, zu laufen, zu essen und manche auch schon zu sprechen.
Es ist die Zeit, wo Kinder allein etwas erreichen können und demnach nicht mehr unbedingt auf die Hilfe ihrer Eltern angewiesen sind. Manche beobachten dann einen vermeintlich plötzlichen Rückzug vor Bezugspersonen.
Andere Autisten, wie mein Mittlerer entwickeln sich zunächst recht „normal“ bis eben auf ein paar Eigenarten und legen dann plötzlich einen Stillstand und in manchen Fällen auch Rückschritte hin.

Dann gibt es wiederum Autisten, gerade Asperger, die kaum auffallen, solange soziale Gefüge nicht so stark gefordert sind. Meist also erst im Kindergartenalter, sind aber dennoch oftmals unerkannt, da einfach das Fachwissen fehlt.
Dabei kann man nicht wirklich jemanden den Vorwurf dazu machen. Noch immer fehlen genug Fachkräfte und ein breites Basiswissen.

Autismus ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung und die fällt meist nunmal erst im Laufe einer Entwicklung auf, warum sie besteht ist jedoch angeboren.

Die Sache mit dem Impfschaden

Somit ist es auch nicht schwer zu verstehen, was ich von diesem sehr hartnäckigen Gerücht halte, dass Autismus durch Impfschäden hervorgerufen wird.

Fangen wir aber von vorne an.

Impfgegner gibt es schon so lange wie es Impfungen gibt. Ich möchte an dieser Stelle gar nicht so sehr auf das Für und Wider eingehen und auch nicht auf all die Theorien, die mittlerweile kursieren.
An dieser Stelle soll auch gesagt sein, dass ich keinerlei Kommentare dazu in diesem Blog durchlassen werde. Dieses Thema hat unzählige eigene Plattformen und da soll es auch bleiben.

Mir geht es eh nur um die eine Theorie, die erst mit der Studie, die Andrew Wakefield 1998 in dem renommierten Fachblatt „The Lancet“ veröffentlichte, so richtig entbrannte.

Hergeleitet aus der Tatsache, das gerade frühkindlich autistische Kinder erste klinische Auffälligkeiten um den Zeitraum von 8 Monaten bis 1,5 Jahren aufweisen. Diese zwar oftmals als Veränderung wahrgenommen, aber meist erst später als Autismus diagnostiziert werden, verfolgte er, gemeinsam mit einer Mutter eines autistischen Kindes, die Theorie, dass Autismus durch die Impfung entstanden wäre, da dieser Zeitraum sich mit dem deckt, in dem die MMR-Impfung verabreicht wird.
Bei der Untersuchung an 12 autistischen Kindern, wurden bei 8 Kindern im Darm betreffende Symptome, welche gemäß Wakefield zu Entwicklungsverzögerungen führen, festgestellt, was dieser später als autistische Enterocolitis bezeichnete.
Der kausale Zusammenhang zwischen Autismus und dem MMR-Impfstoff wurde jedoch NIE erreicht. Auch nicht in dieser Studie.

Durch die Veröffentlichung entbrannte eine Diskussion seinesgleichen, die bis heute anhält.
Dabei werden sämtlich folgende klinische Studien zur Genetik bei Autismus vollständig außer Acht gelassen, genauso wie die unzähligen Studien danach, die eindeutig eine Beteiligung von Impfungen an Autismus widerlegten.
Vor allem aber wird auch die Tatsache völlig ignoriert, das 6 Jahre später ein Journalist aufdeckte, das Wakefield zum „Zeitpunkt der Veröffentlichung“ 55000 Dollar von Anwälten erhielt, die eine Verbindung zwischen Autismus und dem MMR-Impfstoff suchten.
Im Zuge dessen geriet der Verfasser der Studie zusätzlich unter Verdacht der Datenfälschung, die verschiedene Gutachter als glaubwürdig hielten.
2004 zog die Fachzeitschrift The Lancet die Veröffentlichung zurück und letztendlich musste sich Wakefield vor der britischen Ärztekammer rechtfertigen, die ihm dann 2010 die Zulassung entzog.

Dennoch kam das Dementi zu spät. Der Schaden war schon angerichtet.

Und so werden heute noch Kinder gar nicht erst geimpft und wenn, dann werden häufig sehr fragwürdige Methoden angewendet um diese Schadstoffe aus dem Körper herauszuleiten.
Sei es nun durch Homöopathie, irgendwelchen Hokuspokus oder eben auch durch MMS.
Die Leidtragenden sind eindeutig die autistischen Kinder und ich kann nur hoffen, das es Wakefield leid tut, was er da angerichtet hat.

Denn nach wie vor ranken sich die Theorien um den Autismus durch Impfschaden und es werden immer mehr und neue Vermutungen aufgestellt, vor allem in esoterischen Kreisen.
Viele Argumente, die rein logisch gesehen derart hirnrissig sind, das man sich teilweise nur noch an den Kopf fassen möchte.
So wird beispielsweise der Anstieg von Autismus, der steigenden Zahl von Impfungen gegenüber früher geschuldet und nicht dem wachsenden Bekanntheitsgrad von Autismus selber.
Das viele aus meiner Generation gar nicht geimpft sind, und heute als Autisten diagnostiziert werden, nun, dann wären es halt nicht die Impfungen, sondern das Amalgam bei der Mutter.
Naja, ich bin nicht geimpft und meine Eltern hatten kein Amalgam im Mund. Außerdem bin ich in einem idyllischen Vorort aufgewachsen, in dem die Schadstoffbelastung verhältnismäßig gering war, und ich bin autistisch.

Oft wird im Zusammenhang mit der Ausleitung von Impfstoffen auch von diversen Diäten berichtet, das der Autismus geheilt sei, oder sich wesentlich verbessert hätte.
Gerade bei MMS wird neben dem Impfschaden vermutet, das Autisten bestimmte Würmer und Parasiten in sich haben und diese mittels MMS und spezieller Diät per Protokoll weggeätzt werden soll. Ich hatte schon an anderer Stelle darüber berichtet.
Was die da teilweise ihren Kindern zumuten grenzt an massiver Körperverletzung.

Die Sache mit der Diät

Ich will gar nicht bestreiten, das manchmal eine Ernährungsumstellung helfen kann. So ist auch allgemein bekannt, das z.B. ein Cocktail aus Omega3 Fettsäuren und bestimmten Mineralien die Konzentration bei AD(H)Slern ein klein wenig verbessern kann.
Generell kann man sagen, das jedem Menschen ein solcher Cocktail gut tun würde, es wird nur teuer als ADHS Alternativmittel zu den Chemiekeulen verkauft.
Allerdings nimmt es nur die Spitze und ist meines Erachtens mit Ritalin und co kaum zu vergleichen.
Wo man allerdings meines Erachtens wesentlich zu weit geht, sind solche Diäten, die wichtige Bestandteile der Ernährung weglassen, die diese zu einer normalen Entwicklung und einem gesunden Wachstum brauchen.
Nicht ohne Grund werden bei Kindern solche Diäten nur bei Indikation, also wirklich nur bei vorliegenden Allergien und Unverträglichkeiten, durchgeführt und viele davon nur unter ärztlicher Aufsicht. Teilweise sogar im Krankenhaus.
Ich finde es gefährlich, sowas in Eigenregie daheim durchzuführen und noch dazu bei autistischen Kindern, die oft eh ein eingeschränktes Essverhalten haben oder bei denen man die Wirkung gar nicht richtig abschätzen kann.
Aber ich schweife ab.

Ich habe also nie behauptet, das es nicht durchaus hilfreich sein kann, sich oder sein Kind gesund zu ernähren.
So fördert das eine die Konzentration, macht wacher und aufmerksamer, fördert die Verdauung, und damit das allgemeine Wohlbefinden.
Warum sollte das auch nicht bei Autisten funktionieren. Eben genauso, wie bei anderen Menschen auch?
Aber es macht den Autismus nicht weg.

Autismus heilen?

Um wieder auf den Grund meines Artikels zurückzukommen, könnte der Kommentator vielleicht noch meinen, das er ja „nur“ ungefährliches wie beispielsweise Homöopathie benutzt.
Nebenbei gesagt, ist selbst Homöopathie nicht ohne.
Viel mehr als der Wunsch zu helfen an sich, erschreckt mich aber die Einstellung, das Autismus weg gehört, geheilt.

Ich kann irgendwo die Verzweiflung manch Eltern verstehen. Ich selber habe autistische Kinder und habe vermutlich ähnliche Fragen für deren Zukunft und deren Glück.

Aber ist das nicht allein meine Sorge und können die Kinder was dafür. Rechtfertigt es meinen Wunsch für die Kinder ein bestmögliches Leben zu ermöglichen, das ich Ihre Gesundheit auf lange Sicht gefährde?

Sollte man sich nicht lieber fragen, wie man sein Kind unterstützen kann, statt es verändern zu wollen.
Und überhaupt, für wen tut man das eigentlich?
Wirklich für das Kind?
Ist es vielleicht eher der Wunsch mancher Eltern sein Kind gesellschaftskonform zu machen. Damit es nicht mehr aneckt und ausgegrenzt wird unter dem Deckmantel, das man dem Kind doch sowas nicht antun möchte.
Ich verstehe euch durchaus, ihr meint es eigentlich nur gut und wollt es eurem Kind ersparen.
Aber ist das der richtige Weg?
Denn den meisten Autisten ist das gar nicht bewusst. Zumindest nicht in dem Alter.
Oder geht es eher darum, das man als Eltern nicht seinen Traum aufgeben möchte. Den Traum von einem glücklichen Kind, das zu einem selbständigen, beliebten und erfolgreichen Erwachsenen heranwächst und der mal selber glückliche Kinder haben kann.

Autisten lernen auch ohne das weiter, denn einige Entwicklungsschritte finden, wenn auch verzögert, doch irgendwann statt und das ganz ohne diese ganzen Mittelchen und Ernährungsumstellungen.
Nicht umsonst wird selbst in der Erwachsenendiagnostik ein ganz besonderes Augenmerk auf die Zeit um das 4te bis 5te Lebensjahr gelegt, da dort der Autismus meist am wenigsten „verfälscht“ durch Außeneinflüsse und Erlerntes ist.

Lässt man uns Autisten ein Stück weit so sein wie wir sind und erklärt uns die Welt da draußen, so dass wir vielleicht selber irgendwann die Notwendigkeit verstehen lernen, warum etwas so oder so verlangt oder erwartet wird, und ist dann das Umfeld idealerweise noch entsprechend autistengerecht, dann stehen alle Wege offen. Dann können wir selber entscheiden, wieviel Kraft man bereit ist aufzuwenden, um gewisse Dinge erreichen zu können.

Auch wenn es vielleicht mit Abstrichen ist, ist es ein lebenswertes Leben, denn ich habe dann gelernt Ich sein zu dürfen.

Das kann auch Leid sein, ein Leben lang anzunehmen, das man nicht gut, nicht genug oder falsch ist.

Ist das nicht das Ziel, das wir lieber für unsere Kinder wünschen sollten?
Das sie sein dürfen. Gut und akzeptiert, geliebt, so wie man ist.
Ist es nicht besser als gesellschaftskonform, gebrochen, gebeutelt und erschöpft vom Leben an sich zu sein.

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