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Gestern haben wir geschwiegen, weil der Autismustag schon lange nicht mehr unser Tag ist und missbraucht wird von den großen Organisationen und nicht-autistischen Menschen, um sich zu profilieren.
Es sollte ein stiller Protest sein, indem wir klar fordern:
„Mit uns, nicht ohne uns!“.

Viele haben uns kritisiert, noch mehr beigepflichtet zu dieser Aktion, aber ist euch etwas aufgefallen?
Es hat doch geklappt.
Wir hatten eure Aufmerksamkeit.

Den ganzen Tag gestern ging es darum:
Warum schweigen. Was ist das mit den Organisationen, was stört uns daran. Warum wollen wir den Autismustag nicht feiern und weiß jemand was genaues?
Mehr als mit jedem anderen Aufklärungsartikel haben wir das Thema „Mit uns, nicht ohne uns“ polarisiert.

Allerdings habe ich natürlich dennoch etwas zu diesem Thema zu sagen.

Denn im Grunde ging es darum aufzuzeigen, dass es wichtig ist auf erwachsene Autisten zu hören. „Autismus keep calm and cary on“  hat dazu heute auch veröffentlicht und hier ist meiner zum Thema, denn die Zeit des Schweigens ist vorbei.

 

Nachteilsausgleich aus der Sicht einer erwachsenen Autistin

Ich wurde 2012 diagnostiziert. Bis dahin erhielt ich keinerlei Unterstützung im rechtlichen Rahmen. Tatsächlich ging es sogar so weit, dass ich zwar mit den Jahren das ein oder andere benennen konnte, was ich nicht kann, immerhin wurde mir das oft genug gesagt, aber nicht warum es so ist. Das Unvermögen, zu benennen, wo ich Hilfe brauchte, brachte zusätzliche Schwierigkeiten mit sich und ich behaupte heute, dass ich mit der richtigen Unterstützung in meiner Kindheit heute wesentlich selbständiger wäre, als ich es jetzt bin.

Jugendämter und Schulen stellen gerne eine Verselbständigung in den Vordergrund und gewähren Hilfen nur im Hinblick darauf, dass diese dazu führen müssen und Kinder irgendwann ohne diese auskommen. Lässt man als Elternteil solche Dinge nicht zu, wird einem schnell vorgeworfen, das Wohl des eigenen Kindes nicht im Blick zu haben und der Selbständigkeit seines Kindes im Wege zu stehen. Schnell steht das Wort Helikoptermutter oder -vater im Raum.
Aber ist das wirklich so?

Was heisst Verselbständigung denn wirklich?

Bei weitem nicht, dass man vollkommen selbstständig durchs Leben gehen kann. Mal ehrlich, wer kann das schon so ganz ohne Hilfe. Nur verhält es sich bei mir so, dass ich keinen Freundeskreis habe. Zumindest niemanden in der Nähe, sodass ich in den meisten Situationen auf mich allein gestellt wäre und ich habe, wie viele Autisten, Schwierigkeiten damit, mir Freundschaften aufzubauen oder sie zu halten. Dazu kommt auch hier die Intensität, wie bei vielen Dingen. Ich brauche wesentlich öfter Unterstützung und das bei alltäglichen Dingen.

Verselbständigung heisst, selbstbestimmt leben zu können, auch, wenn man dafür Hilfen in Anspruch nehmen muss. Denn diese Hilfen sollen einem ja nichts abnehmen. Sie sollen lediglich das ausgleichen, wozu man behinderungsbedingt (noch) nicht in der Lage ist. Er gleicht einen behinderungsbedingten Nachteil aus. Solch ein Nachteilsausgleich übervorteilt nicht, wenn er richtig angelegt ist und er verhindert keine Selbständigkeit. Tatsächlich stärkt er das Selbstwertgefühl und gibt einem die Zuversicht und Kraft, auch mal neue Dinge auszuprobieren oder andere Wege zu beschreiten.
Diese Unterstützung führt auch nicht in eine Abhängigkeit, da die meisten Autisten immer darnach bestrebt sind, es möglichst allein zu schaffen. Da unterscheiden sie sich kaum von nichtautistischen Menschen. Oder wie erklärt es sich, dass Kinder irgendwann allein ihre Anziehsachen rauslegen wollen, sich selbst waschen, allein zur Schule gehen, etc. Warum lernen Kinder? Denn könnte man ihnen da nicht auch ein Abhängigkeitsverhältnis zu ihren Eltern unterstellen, wenn wir bei dieser Argumentation bleiben? Viele Autisten machen diese Schritte in der Entwicklung auch, nur manchmal viel später.

Ich kann es nicht – oder doch?

„Sie hat ein Problem mit der Kommunikation“ sagte mal jemand über mich und damit trifft es meine Schwierigkeit ziemlich genau. Das heißt nicht, dass ich nicht kommunizieren kann. Tatsächlich ist mein Wortschatz vielen anderen überlegen und ich habe ein gewisses Talent mich auszudrücken. Ich besitze auch ein gewisses Auftreten, dass mich authentisch und selbstbewusst wirken lässt. Und doch. Ich weiß nicht was es ist. Eine gewisse Unsicherheit, die immer mitschwingt, weil ich weiß, dass es so oft schief gegangen ist. Das ich Dinge falsch aufgefasst oder wiedergegeben haben muss. Das ich anders verstehe und mich anders ausdrücke. In manchen Bereichen zeigt sich das Problem mehr, in anderen weniger.
Diese vielen Misserfolge führten mit den Jahren dazu, dass ich zusätzlich zum Autismus eine Angststörung entwickelt habe. Anders als bei Amtsgesprächen, wo ich selten allein hin musste, hatte ich nie jemanden an der Seite, wenn es um das Telefonieren ging. Niemanden, der mich da hindurch begleitet hätte, damit ich Schritt für Schritt lernen konnte, mit solchen Situationen umzugehen.
So ging es mit vielen Dingen. Dinge, die für andere ganz alltäglich sind und so von Nichtfachkräften oftmals nicht verstanden werden. Die meiste Zeit wurde es mir nur abgenommen weil „du das eh nicht kannst“. Es war keine Anleitung, es war ein Wegnehmen. Wie soll ich es so denn auch können? Wenn man ohne wirkliche Hilfe immer wieder in solche Situationen gestoßen wird. Oder ich nahm es erst gar nicht in Angriff. Traute es mir selbst nicht zu aus Angst wieder irgendetwas falsch zu machen. Vor allem dann, wenn es meine Kinder betraf.

Bevor ich eine Angststörung entwickelte, hatte ich noch den eigenen starken Willen, Probleme, die mit meinem Autismus verbunden sind, immer wieder selbst zu lösen. Es schaffen zu wollen aus eigener Kraft. Hätte ich damals eine Hilfe gehabt, dann würde ich vielleicht immer noch daran arbeiten können. Wäre heute vielleicht an manchen Stellen selbstständiger, auch wenn ich dazu Hilfe benötige.
Es kann sein, dass an manchen Stellen eine lebenslange Hilfe von Nöten ist. Das muss nicht immer in Form einer Begleitung sein, kann es aber. Das ist sehr abhängig von der Art der Hilfe und Situation. Es kann auch sein, dass irgendwann eine Nische gefunden wird, in der die eigene Behinderung gar nicht soviel Gewicht hat oder sogar als Stärke gewertet wird. So werden z.B. immer mehr Sehbehinderte in der Diagnostik beim Ertasten von Tumoren eingesetzt, da Blinde bekannter Maßen einen wesentlich besseren Tastsinn besitzen als Sehende. Genauso ist es möglich, dass man später einfach andere Prioritäten setzt, insofern man sich in einer Lage befindet sich diese Freiheit auch nehmen zu können.
Aber um überhaupt dahin zu kommen, solche Nischen für sich zu entdecken, muss derjenige erstmal durch alle wichtigen Instanzen. Das bedeutet die richtige Schul- und Ausbildung ohne die man gar nicht erst eine Chance hätte, sein Potential vollständig auszuschöpfen.

Autistisch seit Geburt

Es passiert mir oft in Diskussionen mit anderen Eltern, die mich um Rat fragen. Irgendwie erwarten sie von mir ein ganz anderes Verhalten als sie es von ihren Kindern kennen. Erwarten, da ich erwachsen bin, dass ich weniger autistisch bin und besser kommunizieren kann. Weniger klar wie ihre Sprösslinge. Sie vergessen, oder wollen es vielleicht auch nicht wahr haben, dass Kinder nicht aufhören, autistisch zu sein, sobald sie 18 werden. Erwachsene waren nicht weniger autistisch, als sie noch Kinder waren.

Wenn man mir ins Gesicht sagt, dass autistische Kinder besser dran wären ohne Nachteilsausgleich kann ich nur eins dazu sagen: Ich hatte keinen und ich bin dadurch nicht selbstständiger geworden. Im Gegenteil.

Ich persönlich habe den Großteil meines Lebens nur auf die Hilfe von Menschen zurückgreifen können, denen irgendwas an mir lag. Sei es mein damaliger Ehemann, Freunde, Mitbewohner, Familienangehörige und ja, selbst meine Kinder. Denn auch wenn sie Autisten sind, können sie manchmal Dinge, die ich nicht so gut kann und so unterstützen wir uns gegenseitig. Denn keiner ist gleich und nur weil ich immense Schwierigkeiten damit habe Fremde anzusprechen, macht dies meinem Großen gar nichts aus und so schicke ich ihn immer vor, wenn es darum geht, jemanden etwas zu fragen.
Das Problem dabei ist jedoch: Gerade Freunde und Familie können vieles nicht wirklich verstehen oder haben ihr eigenes Leben und so passierte es mehr als einmal in meinem Leben, dass ich Beziehungen überstrapaziert hatte. Das ich zur Belastung wurde und das Gefühl werde ich nie los und selbst wenn ich jetzt jemanden habe, der mich tatsächlich versteht und gern hilft, werde ich das Gefühl, eine Belastung zu sein, einfach nicht los.
Ich hatte vor etwa 3 Jahren eine ambulante Betreuung und in der Zeit habe ich mich selbständiger gefühlt als je zuvor. Plötzlich habe ich allein Dinge hinbekommen (auch wenn immer jemand unterstützend bei mir war). Ich war stolz darauf, konnte selbst bestimmen was wann gemacht wurde. Musste nicht darum bitten. Entgegen dem, wie ich hier wirken mag, brauche ich immer noch in sehr vielen Bereichen Unterstützung, weil ich nicht aufhöre Autist zu sein, nur weil ich erwachsen geworden bin und ich weiß, wie es ist ohne jegliche Hilfen die Kindheit zu überstehen oder als erwachsene Autistin heute im Alltag überfordert zu sein.
Das einzige, was ich dadurch gelernt habe, ist, dass ich es nicht kann und ich habe Jahre gebraucht und arbeite noch heute daran, mir klar zu machen, dass ich kein Versager bin.

Ich kenne das Gefühl, wie es mit der richtigen Unterstützung sein kann und dass es sich tatsächlich anders anfühlt, als wenn man andere stets um etwas bitten muss.

Ich will ein selbstbestimmtes Leben führen. Will nicht auf andere angewiesen sein und wenn ich persönlich dazu eine Integrationshilfe als meinen „Rollstuhl“ betrachten muss, dann kann ich besser damit leben und trotz allem einen gewissen Stolz auf mich entwickeln. Viel besser, als Jahr um Jahr Vorwürfe darüber anhören zu müssen, was ich alles nicht kann.

Vielleicht hat mich deswegen die Aussage so getroffen, dass ich mich gegen eine Verselbständigung meines Kindes stellen würde und das Autisten ohne Nachteilsausgleiche besser dran wären.
Ich habe immer schon sehr darauf geachtet, meine Kinder zu einem selbstbestimmten und nicht nur selbstständiges Leben zu erziehen. Das heißt mit keiner einzigen Silbe, dass ich sie nicht dazu erziehe selbstständig zu sein. Das wirft man mir oft vor, aber wer meine Kinder von Anfang an kennt, weiß welche Fortschritte sie gemacht haben. Therapeuten, die uns Jahre begleitet hatten, nebst Psychiatern waren immer davon begeistert, wie ich an Dinge herangehe.
So habe ich immer darauf geachtet, dass sie es möglichst selber können. Sie auch stets gefordert und nur eingegriffen, wenn es notwendig ist. Ich weiß, was meine Kinder verkraften und leisten können, vielleicht gerade deswegen, weil ich selbst autistisch bin.
Ich weiß, dass ich vieles kann, wenn ich nur die Sicherheit hinter mir weiß und das ist bei meinen Kindern nicht viel anders.

Meine Kinder sollen eines Tages zurückblicken können auf ein erfülltes Leben voller Lernen und Erstaunen und nicht auf einen täglichen Kampf.

Denn auch diese Kinder werden irgendwann Erwachsene und auch dann werden sie immer noch autistisch sein und dann werden sie, wenn man alles richtig gemacht hat, selbstbestimmt ihr Leben bestreiten können, soweit sie dazu in der Lage sind.
Bis dahin ist es die Aufgabe der Eltern und anderer erwachsener Autisten, dies begreiflich zu machen.
Dafür kämpfe ich, dafür stehe ich und daher gibt es auch meinen Blog. Um anderen verständlich zu machen, warum ich wie reagiere, was ich warum für richtig halte und was nicht.
Dabei ist es wichtig, nicht nur eine Meinung anzuhören, weil Autisten so verschieden sind wie alle Menschen und nur weil etwas bei mir funktioniert, heisst es noch lange nicht, dass es bei allen so sein muss. Aber ich kann Denkanstöße geben.
Selbst ich als autistische Mutter hole mir Rat bei anderen Autisten. Höre sie an, damit ich meinen Kindern eine möglichst breite Palette an Möglichkeiten bieten kann.

Der Weltautismustag steht inzwischen mehr für große Interessensvertretungen, die für uns reden und entscheiden wollen. Sie feiern den Tag als ihren und schließen uns aus, indem sie sagen, dass man nicht auf erwachsene Autisten hören sollte.
Sie sagen, das wir nicht für Autisten sprechen können.
Dieses für uns sprechen ist im Sinne der Selbstständigkeit nicht gut, Menschen mit Autismus besitzen enorm große Fachkenntnis, Einfühlungsvermögen etc. und sollten die ersten sein, die über Autismus sprechen.

Mit uns, nicht ohne uns!