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Ich sitze hier, heulend vor Wut auf mich selbst. Es wäre eine einfache Bitte gewesen und eigentlich weiß ich es sogar. Hätte im Umkehrschluss selbst anderen den Rat gegeben, doch einfach nur um Hilfe zu bitten.
Es lähmt mich, wie so oft. Bekomme es einfach nicht hin. Versuche mich immer wieder dazu zu überreden und warte auf den richtigen Zeitpunkt. Wenn es am wenigsten stört, wann es am sinnvollsten ist. Irgendwann ist auch die letzte Möglichkeit verstrichen und nun ist es mal wieder auf den letzten Drücker.
Ich weiß, das es nicht anders geht und ich muss fragen.
Wütend klatsche ich, nachdem ich eine halbe Stunde neben ihm stand ohne etwas zu sagen, die Einladung hin und haue ab. Ohne jede Erklärung.
Mitbewohner kann gar nicht wissen, was mir seit Donnerstag im Kopf herum geht und er kann sicher auch nicht nachvollziehen, warum ich jetzt so sauer bin.
Ich könnte mich ohrfeigen.
Hätte ich am Donnerstag gleich gefragt, dann hätte ich Samstag mit ihm gemeinsam zu einem Spielzeugladen gehen können. So weiß ich nichtmal wo einer ist und muss Montag alleine los, was ganz nebenbei meinen Ablauf mal wieder empfindlich stört.
Ja, er weiß um meine Problematik. Er weiß, das mir das Bitten so schwer fällt. Er sagt selber immer wieder, das ich es nur sagen soll. Er hilft mir gern und doch bekomme ich es nicht hin.
Es ist nur eine Bitte um einen Anruf. Eine Alltäglichkeit für viele, die mich seit Tagen lähmt. Mich wütend macht und platzen lässt.
Fair ist es nicht, das macht mich noch wütender.
Inzwischen weiß ich auch, wie jedesmal, das er verstanden hat. Inzwischen hat er auch angerufen und er weiß auf wen ich wirklich sauer bin.
Und immer noch bin ich wütend.
Wütend auf mich, wütend auf meine Schwierigkeiten.
Wütend auf meine vielen Unzulänglichkeiten, auf meine Hilflosigkeit.
Wütend auf all jene, die Autismus bagatellisieren, es versuchen als was tolles, sogar erstrebenswertes hinzustellen.

Verstehe ich nicht. Was ist daran so erstrebenswert.
Ich scheitere oft an Alltäglichkeiten. Ja, es gibt Tage, da bekomme ich es besser hin und auch Tage, wo ich an Kleinigkeiten verzweifeln kann.

Man soll Autismus nicht so defizitär sehen

Wäre es nicht defizitär, dann bräuchte man die Diagnose nicht.
Mit diesen Defiziten muss ich leben. Meinen Alltag bestreiten. Ich verstehe die Diskussion darum nicht.

Warum müssen Diagnosen so defizitär sein

Die Diagnose ermöglicht es mir Hilfestellungen zu beantragen. Selbst wenn es eine Zeitlang gut gehen mag, durch Hilfe aus dem privaten Bereich, so können Umstände dazu führen, das es doch mal ohne Hilfe nicht geht. Das habe ich am eigenen Leibe erfahren.
Ja, Autisten, auch ich, habe Stärken, wie jeder andere Mensch auch und ich bin mir meiner Stärken genauso bewusst wie meiner Schwächen. Ich weiß auch, das je nach Blickwinkel vermeintliche Schwächen auch als Stärken angesehen werden können.
Aber bekomme ich denn eine Hilfeleistung wenn in einem Diagnoseschreiben steht, wie gut ich im Mustererkennen bin etc?

Kennt man einen Autisten, dann kennt man genau einen

Und das gilt für alle Seiten. Weder helfen da Pauschalisierungen darüber, wie defizitär ein Autist in den nächsten Jahren sein könnte, aus der Sicht der Therapeuten und Ärzte. Noch die pauschale Äußerung, Autismus sei was Besonderes durch Angehörige und Autisten selber.
Ja, man kann nicht pauschal davon ausgehen, das ein Autist nie selbstständig leben kann, ein Abi nie schaffen würde. Genauso wenig kann man davon ausgehen, das es allen Autisten möglich sein muss. Vielmehr ist das sehr individuell zu sehen.

Noch weniger verstehe ich eine Bewegung dahingehend, das Autismus als was erstrebenswertes anzusehen wäre. Etwas, worauf man stolz sein müsse, dazuzugehören.

Ich habe mich nie darum gerissen, Autist zu sein.
Autismus ist nichts Erstrebenswertes, nicht heilbar und es ist ein Leben, das mich jeden Tag aufs neue fordert, in einer Gesellschaft zu bestehen, die nicht autistengerecht ist.
Es ist mein Leben und nicht nur eine Diagnose.

All das heisst nicht, das ich unzufrieden bin, das ich den Autismus herausschneiden möchte. Gut, an solchen Tagen wie heute, fällt es mir sehr schwer, noch etwas Positives darin zu sehen, aber das bin eben ich. Genauso wenig ist es ein Jammern.
Autismus ist weder schlecht noch gut. Es ist nichts Besonderes, noch was Abwertendes. Es ist nicht „nur“ Anders und auch nicht „nur“ Defizitär.

Ich habe mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen und immer wieder kann ich auch stolz auf das sein, was ich geschafft habe. Trotz meiner Defizite.
Ich bin mir ihrer bewusst und oftmals brauche ich Hilfe. Sei es durch die Familie, Freunden oder auch extern.

Immer häufiger zeichnen sich da 2 Extreme ab, die mir mehr und mehr aufstoßen.
So stört mich die rein defizitorientierte Darstellung, die aber für die Beantragung von Hilfen notwendig ist, leider aber auch gern als Leitfaden zum Umgang mit Autismus im allgemeinem herangezogen wird.
Genauso stört es mich einfach massiv, das manche den Autismus als was erstrebenswertes ansehen und dabei den Anschein erwecken, das es ihnen nur darum geht, das man irgendwo dazugehört.
Mich stört, das Autismus häufig bagatellisiert und verklärt wird und damit der ohnehin schon schwierige Weg, Hilfestellungen zu bekommen, erschwert wird.

Einer der schlimmsten Aussagen für mich:

Das kenne ich aber auch, ich bin sicher auch Autist.

Ist euch wirklich bewusst, was es heisst, damit zu leben?