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AS, Asperger Autismus, Asperger Syndrom, Autismus, Autismus-Spektrum-Störung, Kommunikation, Kommunikationsmodelle, Vier-Seiten-Modell
Letzte Woche habe ich über Ablehnung, Ausgrenzung und Freundschaft geschrieben und dabei erwähnt, dass es immer wieder zu Missverständnissen kommt, die ein „Aus“ der Freundschaft bedeuten können.
Aber nicht nur bei Freundschaften entstehen immer wieder Missverständnisse.
Immer wieder begegnen mir Situationen im Alltag, an denen ich deutlich merke, dass ich missverstanden wurde. Das Thema „Verstanden werden“ beschäftigt mich sehr und ist auch etwas, dass mich schon ein Leben lang begleitet.
Ich renne ja nicht herum und erzähle jedem, das ich Autist bin, aber oft warne ich Menschen vor das ich mitunter sehr direkt bin. Manche sagen dann, sie mögen direkte Menschen und sind dann doch erschüttert, wenn ich mal wirklich direkt werde.
Warum kommt es zu Missverständnissen
Nun, da gibt es viele Theorien und ich bin jüngst auf zwei gestoßen, die mir am wahrscheinlichsten vorkommen. Bekannt als Vier-Seiten-Modell oder auch Vier-Ohren-Modell genannt von Friedemann Schulz von Thun, das in meinen Augen auf das Eisbergmodell aufbaut. Das mit bekannteste Kommunikationsmodell, welches auf die Beobachtungen von Siegmund Freud zurückgeht, dass der weitaus größte Teil des menschlichen Handelns unbewusst bestimmt wird.
Ich könnte hier jetzt ausschweifen und euch das faszinierende an dieser Theorien schreiben. Ich denke im groben reicht es, wenn ich euch erzähle, dass es in dem Eisbergmodell darum geht, dass 20% der Kommunikation auf der Sachebene bewusst gesteuert werden (worüber sprechen wir) und 80% der Kommunikation finden auf der sogenannten Beziehungsebene statt und ist der nonverbale Teil der Kommunikation (Gestik, Mimik, und Stimmlage). Das Vier-Seiten-Modell baut darauf auf und in diesem Modell geht es darum, dass hinter einem Satz 4 Möglichkeiten stehen wie sie gemeint oder verstanden werden können, diese sich dann wiederum in unzähligen Möglichkeiten verschachteln.
Den Rest kann man auch hier im Blog greentaru nachlesen oder in den vielen Artikeln, die es an anderer Stelle noch gibt. Ich fand es da aber recht gut erklärt.
Während meiner Recherche stieß ich auch auf weitere Kommunikationsmodelle, die ich hier nicht unerwähnt lassen möchte. Darunter die Transaktions-Analyse und die darin enthaltene Erweiterung der drei Rollen Verfolger (V), Retter (R) und Opfer (O).
Das Vier-Seiten-Modell
Das Vier-Seiten-Modell war daher für mich so interessant, da es das stärkste AHA-Erlebnis erzeugte. Denn ohne es zu wissen, ist es genau das, was ich ständig im Alltag gebrauche. Ich wäge bei jedem Gespräch stetig ab, was der derjenige gesagt und gemeint haben könnte und nehme dann für mich die wahrscheinlichste Möglichkeit um darauf zu reagieren. Genauso aber auch wäge ich ab, wie das was ich sage ankommen könnte und beachte dies bei meiner Formulierung. Auch da nehme ich die wahrscheinlichste Variante. Dabei bediene ich mich aus einem Fundus aus Erfahrungen, den ich mit den Jahren gesammelt habe. Einem Fundus aus erfolgreicher und weniger erfolgreicher Kommunikation.
Das funktioniert mittlerweile auch ganz gut bis auf gelegentliche Ausnahmen wo ich falsch lag oder mich für die offensichtlich falsche Möglichkeit entschied.
Lange dachte ich, das wäre für alle Menschen der normale Weg der Kommunikation und ich wunderte mich oft, warum es den anderen so leicht fiel und mir dagegen so schwer.
So beschrieb der Asperger-Autist MarkusB. im REHAkids-Forum eine Situation aus einem Führungskräfteseminar. Dort wurde den Vorgesetzten Kommunikation auf der Sachebene und bewusster Einsatz der Körpersprache vermittelt. Diese Fähigkeiten sind z.B. in einem schwierigen Mitarbeitergespräch wichtig, da die alltägliche Kommunikation vorrangig auf der Beziehungs-, Selbstoffenbarungs- oder Appell-Ebene stattfindet, was in solchen Fällen aber nicht dienlich ist. Markus kam das alles wie Basiswissen vor, da er sich diese Kenntnisse bereits durch jahrelange Beobachtungen selbst angeeignet hatte und davon ausgegangen war, dass es andere genauso machen. Für die Teilnehmer des Seminars schien kontrolliertes Kommunikations- und Sozialverhalten dagegen schwierig zu sein; vor allem wenn eine Situation unerwartete Wendungen nahm und spontane, sachliche Reaktionen erforderte. Die Vorgesetzten mussten lernen, während des ganzen Gesprächs mit allen Sinnen aufmerksam zu sein, um jede Regung des Gegenübers bewusst wahrzunehmen, zu analysieren und adäquat darauf zu reagieren.
Ich finde das ein sehr gutes Beispiel und nehme das daher hier mit auf. Denn besser kann man nicht erklären, wie es mir und auch vielen anderen Autisten tagtäglich geht und wie anstrengend Kommunikation für uns sein kann. Danke dafür, Markus.
„Wenn alle Filter fallen“
Grundsätzlich kommuniziere ich sehr sachlich und wenig emotional. Dabei achte ich immer mit allen Sinnen auf jede Bewegung des Gegenübers, den Tonfall und das gesprochene Wort. Das ist auf die Dauer sehr anstrengend und je nach Thema und Gegenüber oder auch Größe der Gruppe, setzt mich das mehr oder weniger unter Stress oder lässt mich schneller in einen Overload rutschen. Dabei sind diese Beurteilungen von Körpersprache, Gesprochenem und Tonfall von mir nicht intuitiv erfasst, sondern ein Ergebnis aus jahrelangen Beobachtungen, Erfolgen und Misserfolgen. Heute passiert es mir noch oft genug, das ich wortwörtlich verstehe oder eine Situation missverstehe und das wörtliche Bild ist eh immer schneller als mein Gedanke sein kann. Dadurch kommt es auch manchmal vor, dass ich im unpassenden Moment lachen muss.
Wenn ich unter Stress stehe oder in einem Overload stecke, dann kann es unter Umständen passieren, das ich sehr direkt werde und auch sehr verletzend. Da ich dann keine Gedanken mehr daran verschwende, welche Konsequenz mein Gesagtes in sich trägt.
Ich nenne den Zustand immer „Wenn alle Filter fallen“.
Ein sehr großes Missverständnis beispielsweise, das zwar schon eine Weile her ist, aber mich noch lange begleitete, entstand durch eine Ungerechtigkeit.
Was ist das mit der Ungerechtigkeit oder warum mein Gerechtigkeitssinn so ausgeprägt ist
Nun, mir sind Regeln sehr wichtig und ich bin sehr darin bestrebt, dass diese eingehalten werden und das ich sie auch selber einhalte. So ist es aber häufig so, dass Menschen eigen eingeführte Regeln missachten. So war es zunächst eine Missachtung der Regel und zudem gegenüber der Person, die es betraf sehr ungerecht. Zu dem Zeitpunkt waren schon etliche Filter gefallen und ich wies dann sehr direkt auf diese Regelmissachtung und Ungerechtigkeit hin. Dabei ging es mir weder um die betroffene Person und deren Hintergrund noch um die ausführende Person. Lediglich der Umstand, des Regelbruchs und die Ungerechtigkeit ließen mich wortwörtlich ausrasten.
So geschah es jedoch, trotz extra Hinweis es bitte so zu lesen, wie es da steht und nicht Dinge hineinzuinterpretieren, die da nicht stehen, dass die Person das voll auf sich persönlich bezog und sich von mir schwer angegriffen fühlte. Dies führte zum Zerwürfnis unseres Kontakts. Wo wir wieder beim Vier-Seiten-Modell wären. Offensichtlich kam etwas ganz anderes bei der Person an als von mir beabsichtigt.
Im Nachhinein tut es mir leid, das ich so missverstanden wurde. Denn angreifen wollte ich sie wirklich nicht. Aber das was ich gesagt zum Regelbruch und der Ungerechtigkeit ihrer Vorgehensweise. Das habe ich genauso gemeint, wie ich es damals schrieb. Aber eben nur genau so. Nicht mehr und nicht weniger.
Bewusste Kommunikation
Heute weiß ich, dass ich bewusst kommuniziere und es mich deshalb oft sehr anstrengt. Mir ergeht es da ähnlich wie den Teilnehmern bei dem Führungskräfteseminar. Das mag auch der Grund sein, warum ich zum einem soziale Interaktionen meide, die mich überfordern könnten und mir zum anderem die Kommunikation mit Gleichgesinnten leichter fällt. Sie senden wesentlich weniger und drücken sich weit klarer aus als Nichtautisten.
Aber es scheint erlernbar zu sein.
So wie ich jahrelang mühsam lernen musste euch Nichtautisten zu verstehen, so könntet auch ihr lernen uns zu verstehen.
Also packen wir es an!
es gibt einen wunderschönen artikel, den ich zu diesem thema immer wieder gerne zietiere: http://www.aspiana.de/neben/sinclair.htm
sinclair schreib dort etwas, in meinen augen, ungemein wichtiges:
„Wir tun unser ganzes Leben lang nichts anderes als Beziehungen herzustellen. Jeder von uns, der lernt, mit Euch zu sprechen: jeder von uns, der lernt, in Eurer Gesellschaft zu funktionieren: jeder von, der die Hand ausstreckt, um eine Verbindung zu Euch herzustellen, bewegt sich auf fremdem Gebiet und übt die Annäherung an Menschen aus einer anderen Welt. Wir verbringen unser ganzes Leben damit. Und dann erzählt Ihr uns, daß wir beziehungsunfähig sind! “
zum Vier-Seiten-Modell würde ich mir wünschen, das jeder psychologiestudent, jeder psychiater, jeder der da draußen eine aubildung als psychologischer berater, eine fortbildung als vorgesetzter macht, lernt, das es menschen gibt, deren primäre kommunikationsebene eben die Sach-Ebene ist, die dinge wie small talk erst mühsam, mit trial and error lernen müßen
ich habe vor über 20 jahren eine solche ausbildung zur psychologischen beraterin gemacht, und war sofort fasziniert von dem modell (und der TA, und Rogers und der RET, es gibt da noch viele nette modelle), was bei uns im semester allerdings zum running gag wurde, war meine sprichwörtliche „schwerhörigkeit“ auf dem apell-ohr
was im unterricht zu freundlichen spötteleien führte, hat mir im prvatleben öfter mal das leben zur hölle gemacht, da es sich mir, bis heute nicht, so wirklich logisch erschließt, warum menschen, wenn sie wollen das etwas und zwar von mir, getan wird, das nicht eindeutig sagen können
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